Offener Brief an das Umweltbundesamt

Stammen die Rückstände von Rodentiziden in Gewässern wirklich aus der kommunalen Rattenbekämpfung?

 Das Umweltbundesamt veröffentlichte im Juni 2020 seinen Forschungsbericht über die Ursachen für die Gewässerbelastung mit Rodentiziden. Es kommt dabei zu dem Schluss, dass die Ausbringung von ungeschützten Fraßködern am Draht in Entwässerungssysteme zur Freisetzung von antikoagulanten Rodentiziden ins Abwasser führt und damit eine Hauptursache für die Rückstände in der aquatischen Umwelt darstellt.Grundlage dieser Schlussfolgerung sind zwei Studien aus den Jahren 2015 und 2018/2019.

Im Jahr 2015 haben 25 kommunale Kläranlagen Rückstände von Rodentiziden in ihren Bioakkumulationsteichen (1) nach der Durchführung von Rattenbekämpfungsmaßnahmen in der Kanalisation untersucht.

2018/2019 wurde an zwei Standorten die Belastung von Abwasser, Belebtschlamm, Schwebstoffen, Sedimentproben u.ä. in Kläranlagen und angrenzenden Fließgewässern während einer kommunalen Rattenbekämpfung untersucht.

Aus dem ersten Forschungsbericht ist zu entnehmen, dass in 14 Gemeinden der 25 teilnehmenden Klärwerke in 2015 eine Rattenbekämpfung in der Kanalisation durchgeführt wurde. Nur an 6 Standorten stimmten die festgestellten Rückstände in den Bioakkulumationsteichen mit den verwendeten Wirkstoffen der Bekämpfung überein. Das bedeutet, in über der Hälfte der teilnehmenden Kläranlagen konnte überhaupt keine Verbindung zwischen der Rattenbekämpfung und den Rückständen in den Kläranlagen nachgewiesen werden. Statistisch ausgewertet bedeutet dieses Ergebnis, es ist wahrscheinlicher, dass es keinen Zusammenhang gibt, zwischen Rattenbekämpfung in der Kanalisation und Rückstände in Kläranlagen. Noch deutlicher stellt sich der fehlende Zusammenhang in einer Gemeinde dar. Hier wurden erhebliche Rückstände in den Bioakkumulationsteichen gefunden, obwohl seit mehr als 10 Jahren keine Rattenbekämpfung in der Kanalisation stattgefunden hat.

Alle Ergebnisse zeigen deutlich, es ist unwahrscheinlich, dass es einen Zusammenhang zwischen den Bekämpfungsmaßnahmen in der Kanalisation und den Rückständen in den Kläranlagen gibt. Vielmehr zeigt die Studie, dass es bedeutende andere Eintragsquellen geben muss, und die Rattenbekämpfung in der Kanalisation nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Auf dieser Faktenlage ist die Schlussfolgerung des UBA, dass die Kanalbeköderung in ihrer derzeitigen Praxis eine Hauptursache für die Freisetzung von Wirkstoffen in die aquatische Umwelt darstellt, in Frage zu stellen.

Die Ergebnisse der zweiten Studie aus 2018/2019 geben ebenfalls keine schlüssigen Hinweise darauf, dass die Rattenbekämpfung in der Kanalisation die Hauptursache für die Belastung der Gewässer mit rodentiziden Wirkstoffen darstellt.

An dem einen Standort wurde ein Versuchsaufbau gewählt, der ein nicht mehr legales Bekämpfungsverfahren beinhaltet. An diesem Standort wurden die nicht gefressenen Giftköder nach der Bekämpfung nicht aus der Kanalisation entfernt. Diese Vorgehensweise ist schon seit vielen Jahren nicht mehr zulässig. Natürlich zerfallen die Köder nach einiger Zeit im Kanalschacht und die Reste finden sich in der Kläranlage wieder. Das ist aber nicht mehr die „derzeitige Praxis“ der Rattenbekämpfung in der Kanalisation in Deutschland, wie vom UBA dargestellt.

Die aktuellen, rechtverbindlich umzusetzenden Vorschriften für die Rattenbekämpfung in der Kanalisation werden in den SPCs (2) der rodentiziden Präparate dargestellt.

Die Köder müssen so in den Kanalschacht gehängt werden, dass sie im Normalbetrieb keinen Kontakt mit dem Abwasser haben, bei außergewöhnlichen Betriebszuständen, wie Starkregen, müssen die Köder gegen Wegschwemmen gesichert sein. Das kann gewährleistet werden, wenn die Köder stabil an einem Draht oder einer Kordel einige Zentimeter über dem Bankett hängen. Die Köder werden alle 2 – 3 Wochen kontrolliert und am Ende der Bekämpfung werden die Köder aus den Kanalschächten entnommen und fachgerecht entsorgt.

Es muss doch in Frage gestellt werden, ob man aus Versuchen mit einem nicht mehr zeitgemäßen, sogar unzulässigen Bekämpfungsverfahren, Rückschlüsse auf aktuelle, rechtkonforme Bekämpfungsmaßnahmen ziehen kann.

Diese Frage wird durch die Untersuchungen des UBAs am zweiten Standort beantwortet. In diesem Fall wurde die Rattenbekämpfung so durchgeführt, wie oben als aktuell und rechtskonform beschrieben. Die Giftköder wurden an einem Draht in den Kanalschacht gehängt und die restlichen Köder wurden am Ende der Bekämpfungsmaßnahme aus den Schächten entnommen. Anschließend wurden keine Rückstände über der Nachweisgrenze in der Kläranlage oder den angrenzenden Gewässern gefunden.

Das sind doch eindeutige Ergebnisse und die Schlussfolgerungen sind zwingend. Veraltete und unzulässige Bekämpfungsverfahren in der Kanalisation führen zu Rückständen der Bekämpfungsmittel in Klärwerken und Gewässern. Eine rechtskonforme Bekämpfungsmaßnahme nach den, aktuell geltenden Vorschrift verhindert den Eintrag der Wirkstoffe in die aquatische Umwelt.

Stattdessen interpretiert das UBA die Rückstände von rodentiziden Wirkstoffen in Fischen ohne ausreichend definierter Herkunft als Indiz, dass die „derzeitige Praxis“ in der Kanalbeköderung eine Hauptursache für die Freisetzung von Wirkstoffen in die aquatische Umwelt darstellt. Die untersuchten Fische ohne Altersbestimmung wurden vor und nach den Studien von Freizeitanglern gefangen.

Zusammenfassend können aus den Studien des UBAs nur zwei Schlussfolgerungen gezogen werden.

Eine aktuell, regelkonforme Rattenbekämpfung in der Kanalisation stellt keine signifikante Quelle für Rückstände in der aquatischen Umwelt dar, auch wenn die Köder an einem Draht in den Schacht gehängt werden.

Für die nachgewiesene Gewässerbelastung mit rodentiziden Wirkstoffen muss es eine andere, bedeutende Quelle geben, die noch identifiziert werden muss.

Leider ist das UBA in persönlicher Korrespondenz nicht auf die spezifischen Widersprüche der Studien eingegangen. Aus diesem Grund wurde der Weg eines offenen Briefes gewählt, um die Ursachen der Rückstände von rodentiziden Wirkstoffen in der aquatischen Umwelt auf breiter Basis zu diskutieren.

(1) Bioakkumulationsteiche werden von einigen Kläranlagen betrieben, um Stoffe im Auslass der Kläranlagen nachzuweisen, die sich erst in Organismen anreichern. Dabei werden die Teiche mit 1-sömmerigen Karpfen für sechs Monate besetzt.

 

(2) SPC (summary of product characteristics) Zusammenfassung der Eigenschaften des Biozidprodukts, SPCs sind zentraler Teil einer jeden Zulassung in der EU und stellen die mit der Zulassung verbundenen Anwendungsvorschrift dar.