Im Teil 1 der Reihe „Sachkunde“ und „Fachkunde“ wurden die Änderungen der gesetzlichen Vorschriften für die Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln ausführlich erläutert. Es wurden die Auswirkungen auf die praktische Arbeit von Schädlingsbekämpfungsunternehmen dargestellt und die Begriffe „Sachkunde“ und „Fachkunde“ eingeführt.

Im Teil 2 der Reihe „Sachkunde“ und „Fachkunde“ sollen diese Begriffe näher erläutert und die Chancen aufgezeigt werden, welche sich für Schädlingsbekämpfungsunternehmen in der Aus- und Fortbildung von Mitarbeitern dadurch eröffnen.

Zunächst muss jedoch dargestellt werden, wie die Begriffe in der Gefahrstoffverordnung (§ 2, Begriffsbestimmungen) verankert sind:

(16) Fachkundig ist, wer zur Ausübung einer in dieser Verordnung bestimmten Aufgabe über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügt. Die Anforderungen an die Fachkunde sind abhängig von der jeweiligen Art der Aufgabe. Zu den Anforderungen zählen eine entsprechende Berufsausbildung, Berufserfahrung oder eine zeitnah ausgeübte entsprechende berufliche Tätigkeit sowie die Teilnahme an spezifischen Fortbildungsmaßnahmen.

 (17) Sachkundig ist, wer seine bestehende Fachkunde durch Teilnahme an einem behördlich anerkannten Sachkundelehrgang erweitert hat. In Abhängigkeit vom Aufgabengebiet kann es zum Erwerb der Sachkunde auch erforderlich sein, den Lehrgang mit einer erfolgreichen Prüfung abzuschließen. Sachkundig ist ferner, wer über eine von der zuständigen Behörde als gleichwertig anerkannte oder in dieser Verordnung als gleichwertig bestimmte Qualifikation verfügt.

Demnach baut die Sachkunde auf die Fachkunde auf. Nur ein Fachkundiger kann durch die erfolgreiche Teilnahme an einem anerkannten Sachkundelehrgang die Sachkunde erlangen. Alternativ hat die Gefahrstoffverordnung bestimmte berufliche Qualifikationen als Sachkunde anerkannt. Das sind die Abschlüsse nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Schädlingsbekämpfer/zur Schädlingsbekämpferin vom 15. Juli 2004 (Bundesgesetzblatt (BGBl). I S. 1638), die Prüfungen nach der Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss Geprüfter Schädlingsbekämpfer/Geprüfte Schädlingsbekämpferin vom 19. März 1984 (BGBl. I S. 468) und die Prüfungen zum Gehilfen oder Meister für Schädlingsbekämpfung nach nicht mehr geltendem Recht in der Bundesrepublik Deutschland oder nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik.

Für die Teilnahme an Sachkundelehrgängen zur Schädlingsbekämpfung (G+V, Schadnagerbekämpfung) muss der Teilnehmer vorher die Fachkunde besitzen. Diese Fachkunde erlangt der Teilnehmer während der Praxiszeit, die für die Teilnahme an dem Sachkundekurs obligatorisch ist (6 Monate für G+V, 3 Monate für die Schadnagerbekämpfung). In dieser Zeit arbeitet der Teilnehmer als Hilfskraft und wird über den bestimmungsgemäßen und fachgerechten Einsatz der, im Betrieb verwendeten Biozide unterwiesen, u.a. anhand der Betriebsanweisung.

Nach Anhang 4.4 der Gefahrstoffverordnung von 2021 wird die erforderliche Sachkunde zur Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln, die unter den § 15c der Gefahrstoffverordnung fallen, durch Vorlage einer Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme an einem Sachkundelehrgang nachgewiesen. Der Sachkundelehrgang muss die Anforderungen der Absätze 3 und 4 erfüllen und von der zuständigen Behörde anerkannt sein. Die Anforderungen der Absätze 3 und 4 beziehen sich auf allgemeine Kenntnisse über die Anwendung von Bioziden zur Schädlingsbekämpfung, wie Rechtsvorschriften, Risikominderungsmaßnahmen, Wirkung und Dosierung von Schädlingsbekämpfungsmitteln, sowie Präventivmaßnahmen und alternativer Verfahren zur Schädlingsbekämpfung. Anerkannte Sachkundige für die Schädlingsbekämpfung sind ausgebildete oder IHK-geprüfte Schädlingsbekämpfer, aber Sachkundige in Teilgebieten wie Gesundheits- und Vorratsschutz (G+V) oder die Nagetierbekämpfung. Die Sachkunde befähigt den Inhaber also, das geeignete Präparat für ein spezifisches Schädlingsproblem aus der großen Menge der verfügbaren Schädlingsbekämpfungsmittel eigenständig auszuwählen und sachgerecht anzuwenden.

Die Fachkunde umfasst lediglich die fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, die erforderlich sind, um das Biozid-Produkte, welches vom seinem Unternehmen für diesen Zweck bereitgestellt wird, bestimmungsgemäß und fachgerecht verwenden zu können. Fachkundelehrgänge sind also firmen- und produktspezifisch, sie benötigen im Unterschied zu Sachkundelehrgängen keine staatliche Anerkennung. Sie können im Auftrag der Arbeitgeber durch privatwirtschaftliche Bildungsträger durchgeführt werden.  Bei den Inhalten der Fachkundelehrgänge sind die bekanntgegebenen Regeln und Erkenntnisse des Ausschusses für Gefahrstoffe (AGS) zu berücksichtigen.

In welchem Zusammenhang können die Begriffe „Sachkunde“ und „Fachkunde“ mit den Vorgaben der DIN EN 16636-2015 verstanden werden? Die Europäische Norm legt die Anforderungen für Schädlingsbekämpfungsdienstleistungen und Kompetenzen fest, die professionelle Anbieter von Schädlingsbekämpfungsdienstleistungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, von Sachwerten und der Umwelt erfüllen müssen. In der DIN 16636 werden verschiedenen Positionen in einem Schädlingsbekämpfungsunternehmen unterschiedliche Kompetenzniveaus zugeordnet. Die technisch verantwortliche Person im Unternehmen muss natürlich für die angebotenen Dienstleistungsbereiche die Kompetenzen eines Sachkundigen nach Anhang 4.4 der Gefahrstoffverordnung besitzen. Der professionelle Anwender im Sinne der DIN 16636 führt die Schädlingsbekämpfung nach den Vorgaben der technisch verantwortlichen Person aus. Wenn sich aus den Eigenschaften des zu verwendenden Biozids keine gefahrstoffrechtlichen Anforderungen ergeben, sind die Kompetenzanforderungen an den Anwender i.d.R. mit der Fachkunde zu vergleichen. Insofern stehen die Sach-, bzw. Fachkundeanforderungen aus der Gefahrstoffverordnung 2021 nicht im Konflikt mit dem Regelwerk der DIN EN 16636-2015, sondern können in das Regelwerk integriert werden.

 

Welche Chancen eröffnen sich für Schädlingsbekämpfungsbetriebe durch die Änderungen der Gefahrstoffverordnung 2021?

Im Rahmen der Zulassung von Biozide zur Schädlingsbekämpfung nach Biozidverordnung, werden allen Präparaten einer Anwendergruppe zugeordnet. Fast alle Rodentizide mit blutgerinnungshemmender Wirkung wurden für den geschulten, beruflichen Verwender (Sachkundigen) zugelassen. Die meisten Insektizide wurden, bzw. werden für die breite Öffentlichkeit oder den beruflichen Verwender (Fachkundigen) zugelassen. Nur wenige Anwendungen von Insektiziden sind nur für den geschulten, beruflichen Verwender (Sachkundigen) zugelassen.

Vor 2021 mussten professionelle Anwender in der Schädlingsbekämpfung mindestens die Sachkunde in den Teilgebieten für Gesundheits- und Vorratsschutz (6 Monate Praxiszeit und 7 Wochen Lehrgang) nachweisen, um eigenständig arbeiten zu können. Nach der Änderung der Gefahrstoffverordnung 2021 können Schädlingsbekämpfungsunternehmen neue Mitarbeiter für die meisten betriebsspezifischen Anwendungen von Bioziden im Rahmen von firmeninternen Schulungen und Unterweisungen zur Fachkunde führen. Nur die Nagetierbekämpfung mit Antikoagulantien unterliegt der Sachkundepflicht. Hier können neue Mitarbeiter nach einer Praxiszeit von 3 Monaten im Rahmen eines 3-Tageslehrgangs die Sachkunde in dem Teilgebiet der Nagetierbekämpfung erlangen. So können neben den „vollausgebildeten“ Schädlingsbekämpfern auch professionelle Anwender mit entsprechender Sach- und Fachkunde die meisten Arbeiten in einem Schädlingsbekämpfungsbetrieb qualifiziert durchführen.

Das bedeutet nicht, dass die Arbeiten mit weniger Kompetenz durchgeführt werden, sondern dass die, im Unternehmen vorhandenen Kompetenzen auftragsspezifisch eingesetzt werden können. Ein Mitarbeiter, der in hygienischen Fragen sensibilisiert wurde und die Bedeutung der Dokumentation von Schädlingskontrolle im Rahmen des Qualitätsmanagements erfassen kann, wird diese Arbeiten mit der entsprechenden Sach- und Fachkunde ebenso gut, wenn nicht besser ausführen können, als ein vollausgebildeter Schädlingsbekämpfer, dessen Fokus auf dem Tilgen von Schädlingen liegt.

Im Schädlingsbekämpfungsunternehmen entsteht dann eine Kompetenzhierarchie, die dem Konzept der DIN EN 16636-2025 ähnelt, mit der technisch verantwortlichen Person und den Vorarbeitern, sowie den professionellen Anwendern, die nach den Vorgaben des Betriebes die vorhandenen Biozide ausbringen.

Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es wichtig, dass neue Mitarbeiter aus anderen Bereichen akquiriert und anschließend zeitnahe eingesetzt werden können. Eine berufliche Weiterqualifizierung steht diesen Mitarbeiter dann immer noch offen. Durch anerkannte Lehrgänge können diese Mitarbeiter auch in anderen Teilgebieten der Schädlingsbekämpfung die Sachkunde erwerben (z.B. G+V). Sogar der Weg zum ausgebildeten Schädlingsbekämpfer nach Berufsausbildungsgesetz steht diesen Mitarbeiter offen. Nach § 45 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz (BBiG) kann zur Abschlussprüfung zugelassen werden, wenn er nachweist, dass er mindestens das 1,5-fache der Regelzeit des Ausbildungsberufes in dem Beruf gearbeitet hat. Es besteht keine Berufsschulpflicht. Eine Prüfung bzw. Registrierung des Arbeitsvertrages vor Beginn der Tätigkeit findet nicht statt.

Fazit: Durch die Einführung der „Fachkunde und Sachkunde“ im Rahmen der Änderung der Gefahrstoffverordnung 2021 wurde den Schädlingsbekämpfungsunternehmen die Chance eröffnet, Mitarbeiter entsprechend ihres Kompetenzniveaus betriebsspezifisch einzusetzen. Neue Mitarbeiter können schneller eingearbeitet und qualifiziert im Betrieb eingesetzt werden. Durch diesen neuen, schnelleren Weg in den Beruf des Schädlingsbekämpfers können neue Kompetenzstrukturen im Betrieb aufbauen werden, und die Branche kann so dem Fachkräftemangel begegnen.